Die Reeperbahn – ihre Entstehung und Geschichte
Heute sind die Reeperbahn und St. Pauli weltbekannt. Einst waren sie jedoch weit entfernt von ihrer jetzigen Berühmtheit. Im 13. Jahrhundert, lange bevor St. Pauli ein Stadtteil wurde, siedelten hier Nonnen. Sie gründeten ein Kloster im Gebiet des damaligen Hamburger Bergs in der Nähe des heutigen Fischmarktes. Im 15. Jahrhundert diente das Areal als Trockenwiese. Hier trocknete die Wäsche der Bürgermeister-Gattin. Die Wiese war ein Geschenk von Graf Schauenburg für ihre Gastfreundschaft. Früher war eben alles ein bisschen anders.
Der Hamburger Berg: einst Landschaft, heute Straße
Der Hamburger Berg, gelegen zwischen Altona und Hamburg, erhielt seinen Namen von der hügeligen Geestlandschaft vor den Toren Hamburgs. Diese Region, geprägt von Altonas östlichem Nobistor und Hamburgs westlichem Millerntor, lieferte die Basis für den heutigen Ausdruck „Auf St. Pauli“ statt „In St. Pauli“.
Im 17. Jahrhundert, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, wurde das Gebiet des Hamburger Bergs planiert. Diese Maßnahme diente dazu, ein freies Schussfeld zu gewährleisten und das Material der Hügel für Befestigungen vor den Stadtmauern zu nutzen. Trotz des Ansiedlungsverbots in diesen Bereichen fanden Personen mit geringen finanziellen Mitteln und bestimmte Gewerbe hier ihren Platz.
Die Unerwünschten von Hamburg finden ein Zuhause
Schon vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) siedelten sich am Hamburger Berg jene an, die in der Stadt nicht erwünscht waren oder mehr Platz benötigten. Dazu zählten Kranke im Pesthof, Tranbrennereien sowie Seilmacher und Reepschläger. Letztere benötigten eine etwa 300 Meter gerade Strecke zur Seilherstellung, was zur Entstehung der sogenannten Reepschlägerbahnen führte.
Diese geraden Strecken wurden oft zu Straßen umfunktioniert. So auch die Hamburger Reeperbahn, die zuvor Altonaer Allee genannt wurde. Wann genau die Reeperbahn offiziell ihren Namen erhielt, ist leider nicht dokumentiert. Historische Aufzeichnungen deuten jedoch darauf hin, dass der Name bereits um 1633 in Gebrauch war.
Hamburg und das Umland unter französischer Besatzung
Im November 1806 marschierten Napoleons Truppen in Hamburg ein und besetzten die Stadt bis 1814. Zu dieser Zeit waren die Wallanlagen bereits veraltet. Zwei Jahre zuvor waren sie größtenteils abgebaut worden und bildeten somit kein Hindernis für den Einmarsch der Franzosen. Die Besatzer ließen die Wallanlagen von Hamburger Zwangsarbeitern wieder aufbauen, um sich hinter den Mauern zu schützen.
Die Gebäude auf dem Hamburger Berg behinderten jedoch die Verteidigung. Im Dezember 1813, kurz vor Weihnachten, erhielten die Anwohner den Befehl, ihre Häuser zu räumen. Nur vier Tage gab General Davout den Anwohnern dazu Zeit. Kurz darauf ließ er alles abreißen und niederbrennen. Nach dem Abzug der Franzosen wurde der Vorort neu aufgebaut und war wenige Jahre später noch schöner wiederhergestellt.
St. Pauli – ein neuer Stadtteil Hamburgs entsteht
1830 erlangte das Gebiet Hamburger Berg den Status einer Hamburger Vorstadt und wurde zwei Jahre später nach seiner Kirche „St. Pauli-Vorstadt“ genannt. Die Aussicht auf die Elbe machte St. Pauli zu einem beliebten Ausflugsziel für Hamburger. Gaukler, Seiltänzer und Schausteller strömten in das Gebiet.
Auch der Tierpark Hagenbeck hat hier seinen Ursprung. 1848 stellte der Fischhändler Gottfried Carl Hagenbeck Seehunde zur Schau. Die vielen mobilen Attraktionen, Zelte, Buden, Karussells und Puppentheater führten zu einem lebhaften Treiben. Um dies zu ordnen, wurden feste Bauplätze geschaffen. Schausteller, die es sich leisten konnten, durften ihr Angebot fortan in festen Gebäuden anbieten.
Vom Spielbudenplatz, der Davidwache und dem Rotlichtmilieu
Der Spielbudenplatz, heute das Zentrum der Reeperbahn, wurde Ende des 18. Jahrhunderts erstmals erwähnt. Hier entstand 1855 der erste feste Zirkus, dem der nahegelegene Zirkusweg seinen Namen verdankt. In diesem Amüsierviertel fanden sich neben seriösen Unterhaltungsangeboten auch Bordelle und Kriminelle.
Bald wurde eine Polizeipräsenz notwendig. Die erste Polizeiwache, ein kleines Wachhäuschen an der Davidstraße, Ecke Kastanienallee, wurde 1840 errichtet. Da immer mehr Polizeikräfte benötigt wurden, zog die Wache 1868 ein paar Meter weiter in ein ehemaliges Wachgebäude für Soldaten, dorthin, wo auch heute noch die über das Viertel hinaus bekannte Davidwache steht. Seit ihrem Umzug an den jetzigen Standort hat sie zahlreiche Renovierungen, Umbauten und schließlich 1914 einen Neubau erlebt.
Das Amüsierviertel wuchs, doch bis 1861 blieb die Torsperre zur Stadt Hamburg bestehen. Erst 1865 wurde die Gewerbefreiheit eingeführt. Die Aufhebung der Torsperre und die Gewerbefreiheit förderten den Aufschwung von St. Pauli, das 1894 offiziell ein Hamburger Stadtteil wurde.
Die Reeperbahn im Ersten Weltkrieg
Die britische Seeblockade und der Ausschluss Deutschlands vom Außenhandel während des Ersten Weltkrieges legten den Hamburger Hafen lahm. Die Arbeitslosigkeit nahm rasant zu und Hamburg litt wirtschaftlich stark unter dem Krieg. Auch nach Kriegsende herrschten in Deutschland Wirtschaftskrise und Inflation. Die Kassen auf und um die Reeperbahn bleiben vorerst leer. Erst in den wilden Zwanzigern erholte sich der Kiez, vor allem durch das florierende Rotlichtmilieu. Im Jahr 1926 eröffnete das Varieté Alkazar mit moderner Technik, darunter eine versenkbare Bühne und ein Wasserfontänen-Kronleuchter. Im Alkazar standen Größen wie Anita Berber und Josephine Baker auf der Bühne.
Die Reeperbahn im Zweiten Weltkrieg
In der NS-Zeit wurde der Betreiber des Alkazar verdrängt. Er sympathisierte nicht mit der NSDAP. Im Jahr 1936 änderte sich der Name des Varietés in Allotria, das Programm wurde weniger anzüglich.
Hamburg litt während des Zweiten Weltkrieges unter der NS-Wirtschaftspolitik, da es eher klein und mittelständig geprägt war und nicht als Industriestandort galt. Die Pläne, unter dem Spielbudenplatz eine Tiefgarage zu bauen, gab es schon vor Kriegsausbruch. Doch nun brauchte Hamburg Luftschutzbunker. Die Idee, den Tiefbunker so zu bauen, dass er nach Kriegsende wieder zu einer Tiefgarage umgebaut werden konnte, setzte sich durch. Und so parken auch heute noch Besucher der Reeperbahn ihre Fahrzeuge in dem ehemaligen Luftschutzbunker.
Auch das Varieté Allotria überstand die verheerenden Bombardierungen der Reeperbahn weitestgehend unbeschadet. Heute beherbergt das Gebäude keinen Unterhaltungsbetrieb mehr, sondern den aus Reeperbahn-Dokumentationen bekannten Penny-Markt.
Die Blütezeit der Reeperbahn: 1950er- und 1960er-Jahre
Nach den Zerstörungen des Krieges und dem darauffolgenden Wiederaufbau erlebte die Reeperbahn in den 1950er- und 1960er-Jahren einen beachtlichen Aufschwung. In dieser Zeit erstrahlte das Viertel in neuem Glanz, was maßgeblich durch Auftritte internationaler Musikikonen wie Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry und Jimi Hendrix geprägt war. Diese Weltstars traten in renommierten Live-Musikclubs der Gegend auf, darunter der Star Club, das Indra und der Kaiserkeller. Parallel dazu bot die Reeperbahn auch aufstrebenden Talenten eine Plattform, besonders den Beatles. Für die britische Rockband markierte St. Pauli den Beginn ihrer unvergleichlichen Karriere. John Lennon äußerte einst: „Obwohl ich in Liverpool zur Welt kam, wurde ich in Hamburg erwachsen.“
Der Tankstellenbetreiber Ernst Schütze ließ 1958 die Esso-Häuser am Spielbudenplatz errichten, die in der jüngeren Geschichte als Paradebeispiel für die Gentrifizierung St. Paulis bekannt wurden. Der Komplex wurde 2014 abgerissen und liegt bis heute brach, da Unstimmigkeiten zwischen Stadtplanern, Anwohnerinitiativen und Eigentümern bestehen. 1964, vier Jahre nach dem Tod des berühmten Schauspielers und Sängers Hans Albers, wurde der Wilhelms-Platz zu seinen Ehren in Hans-Albers-Platz umbenannt. Hans Albers wurde unter anderem durch Filme bekannt, die auf St. Pauli spielten und gedreht wurden. Eine lebensgroße, bronzene Statue des Schauspielers erinnert bis heute an den Namensgeber dieses von Wohnhäusern, Clubs, Bars und Prostituierten umringten Platzes.
Wandel und Erneuerung: 1970er- bis 1990er-Jahre
Die Bandenkriege und Schießereien zwischen Zuhältern, Drogenhandel sowie die Morde von Fritz Honka verpassten dem Kiez in den 1970er-Jahren einen verheerenden Ruf. Zuhälterringe wie die GMBH und die Nutella Bande regierten den Kiez.
Zu Beginn der 1980er-Jahre versetzte der Auftragskiller Werner „Mucki“ Pinzner die Reeperbahn in Angst und Schrecken. Auch die AIDS-Krise traf das Rotlichtmilieu hart. Der Kiez hatte seinen einstigen Glamour verloren. Erst Mitte der 1980er-Jahre, als die ersten Musicals, weitere Theater und neue Clubs und Bars auf dem Kiez eröffnen, verloren die Reeperbahn und St. Pauli ihren schlechten Ruf.
Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Kultkneipe „Zur Ritze“, die ursprünglich vom Amateurboxer Joachim „Hanne“ Kleine als Boxkeller gegründet wurde. Die Kneipe etablierte sich als Treffpunkt für Boxer, das Rotlichtmilieu und Prominente. Hier trainierten unter anderem Henry Maske und die Klitschko-Brüder. Zwei Rotlichtgrößen fanden in der Ritze ihren Tod. Sie wird auch heute noch nach alter Tradition fortgeführt und als Zeitkapsel zu den goldenen Zeiten der Reeperbahn betrachtet.
Reeperbahn und St. Pauli im 21. Jahrhundert: kultureller Spielplatz und innovatives Herz der Stadt
Die Neugestaltung des zentralen Spielbudenplatzes verleiht der Reeperbahn seit 2006 einen frischen optischen Anstrich. Mit zwei mobilen Bühnen wird der Platz zum Schauplatz vielfältiger Veranstaltungen, wie dem Reeperbahn Festival, der Übertragung des European Song Contest und dem Santa Pauli Weihnachtsmarkt. Auch wöchentliche Events wie der Nachtmarkt am Mittwoch bereichern das Angebot. Bis heute ist die Reeperbahn ein Magnet für Hamburger und Touristen. Sie bleibt ein unverzichtbares Ziel bei jedem Hamburg-Besuch.