DIE SPEICHERSTADT HAMBURG – VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM WAHRZEICHEN
Die Speicherstadt Hamburg ist Teil der zweitgrößten Stadt Deutschlands und des drittgrößten Hafens Europas. Man sieht es ihnen heute nicht mehr an, aber die Backsteinhäuser der Hamburger Speicherstadt stehen auf geschichtsträchtigem Boden. Lange bevor der größte zusammenhängende historische Lagerhauskomplex der Welt errichtet wurde, lebten hier über Jahrhunderte Menschen und ihre Familien. Diese Zeit endete 1883. Es entstanden ein Zollfreigebiet und der weltgrößte zusammenhängende Lagerhauskomplex, der heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist. Entdecken Sie hier die Geschichte vor der Geschichte der Speicherstadt!
Der Grasbrook im Wandel der Zeit
So weit das Auge reicht, erstreckt sich morastiger Boden über eine Insellandschaft. Moore und Feuchtwiesen bestimmen das Bild. Die Luft riecht nach feuchter Erde, salziger Meeresluft und verrottendem Pflanzenmaterial. Noch ist von Häusern oder Eichenpfählen keine Spur, noch wohnt hier niemand. Und doch befinden wir uns unweit der Speicherstadt – weit vor ihrer Zeit, weit vor der heutigen Hansestadt. Wir stehen am Rande der sumpfigen Wiese, etwa dort, wo später die Kornhausbrücke gebaut wird, und entdecken in der Ferne eine kleine erhabene Burg, die Geschichte schreiben und der Hansestadt ihren späteren Namen geben wird: Hammaburg. Wo wir stehen, tummeln sich ein paar Kühe. Bis auf ein gelegentliches „Muh“ ist es still. So sah der Grasbrook einmal aus. Kaum vorstellbar, dass sich an dieser Stelle einmal markante Backsteinbauten mit Fleeten und Brücken befinden und zum UNESCO-Welterbe gekürt werden sollten.
„Brook“ bedeutet Sumpf, und einst war der Grasbrook genau das: eine sumpfige Binneninsel, umspült von Jahrmillionen altem Gletscherwasser der letzten Eiszeit, die das Urstromtal der Elbe geformt hatte. Wie der Grasbrook vor Jahrtausenden genau ausgesehen hat, ist nicht leicht zu rekonstruieren, denn das Gebiet hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Sicher ist aber, dass der urzeitliche Boden zunächst kein Ort war, an dem man sich ein Leben und Bauen vorstellen konnte. Regelmäßige Überschwemmungen ließen das nicht zu.Doch bereits im 2. Jahrhundert n. Chr. erkannten germanische Stämme die Bedeutung des Gebietes und nutzten es über Jahrhunderte als Weideland, bevor sich im 8. Jahrhundert die Sachsen ansiedelten und die berühmte Hammaburg auf dem Festland errichteten.
Wandrahm und Kehrwieder: wo Baumeister und Tuchmacher Geschichte schrieben
Generationen von Tieren konnten beobachten, wie sich die Zivilisation entwickelte, wie Siedlungen entstanden und wieder zerstört wurden, wie die Stadt allmählich wuchs, an Bedeutung verlor, brach lag und schließlich um 1188 einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Es wurde gebaut, was das Zeug hielt. Auch auf dem Grasbrook, der mit Großem und Kleinem Grasbrook, mit Kehrwieder- und Wandrahm-Insel zu einem großen Stadtteil wurde.1567 besiedelten Glaubensflüchtlinge die Kehrwieder-Wandrahm-Insel und der Stadtteil wuchs weiter. Es entstanden rund 1.000 Wohnhäuser und Speicher, in denen sich Handwerker und Kleingewerbetreibende niederließen.Im östlichen Teil siedelten sich vor allem Tuchmacher an, die dem Viertel seinen Namen gaben. Der Name Wandrahm leitet sich von den hölzernen Rahmen ab, mit denen die Tücher aufgespannt wurden. Der zweite Name Kehrwieder wird oft als Abschiedsgruß der Seemannsfrauen an ihre Männer gedeutet: „Bitte kehr wieder.“ In Wirklichkeit ist „Kehrwieder“ ein anderes Wort für eine Sackgasse, an deren Ende man kehrtmacht.
Hamburg wuchs und gedieh. Das verdankte die Stadt den Kaufleuten und den jüdischen Einwanderern portugiesischer Herkunft. Auch wenn es im 17. Jahrhundert aufgrund unterschiedlicher religiöser Überzeugungen Vorbehalte gab, gelang ein friedliches Zusammenleben. Die vielen Zünfte, die sich hier niederließen, wie Kantoren, Lehrer, Ärzte, Großkaufleute und Überseehändler, bildeten die Grundlage für die stabile Wirtschaft Hamburgs.Während die jüdischen Einwanderer aus Portugal die Wirtschaft spürbar belebten, waren es vor allem die Niederländer, deren Einfluss auf Hamburg stetig zunahm, sodass sogar Geschäfte auf Niederländisch abgewickelt wurden. Gleichzeitig waren die Niederländer und die Hamburger Kaufleute deutlich betuchter als die Handwerker. Man lebte zwar auf der gleichen Insel, aber die Kluft zwischen Arm und Reich war groß.
Die wohlhabenden Hamburger Kaufleute setzten mit ihrem Einfluss 1860 einen groß angelegten Ausbau des Hamburger Hafens durch, der zwei Jahre später das erste künstliche Hafenbecken entstehen ließ: den Sandtorkai. 1872 wurde er um ein großes Areal und mehrere Kaianlagen erweitert. Da der Ort aufgrund seiner neuen Funktion als Warenumschlagplatz nicht mehr als attraktiv genug angesehen wurde, verließ die wohlhabende Schicht die Kehrwieder-Wandrahm-Insel und zog in ruhigere Vororte der Stadt. So wurde die Insel zu einem Hafenarbeiterviertel und blieb es bis zu dem Tag, der ihr Gesicht vollständig verändern sollte.
Bau der Speicherstadt Hamburg: historischer Zufall, Rekordzeit und Schattenseite
Die Speicherstadt in Hamburg ist das Ergebnis einer einmaligen Gelegenheit. Im Jahr 1881 wurde auf Drängen Otto von Bismarcks ein Zollanschlussvertrag notwendig, da Hamburgs Zollprivilegien mit den politischen Zielen des Reiches kollidierten. Dies führte zur Gründung eines Freihafens. Die findigen Hamburger ließen sich durch den Zollanschluss an das Deutsche Reich nicht den Wind aus den Segeln nehmen und begannen, eine eigene zollfreie Handelszone zu schaffen. Der gedankliche Grundstein für den Bau der Speicherstadt war gelegt.
Die endgültige Entscheidung für den Bau eines Lagerhauskomplexes auf der Kehrwieder-Wandrahm-Insel fiel 1883. Ab 1885 wurden die Gebäude von der Kehrwieder bis zum Kannengießerort abgerissen. Nur fünf Jahre später stand der erste Teil der Speicherstadt und konnte am 15. Oktober 1888 zeitnah zum Zollanschluss in Betrieb genommen werden. Von 1891 bis 1896 folgten die Speicherblöcke am St. Annenufer und am Neuen Wandrahm. Der dritte und letzte Abschnitt am Alten Wandrahm, am Holländischen Brook und am Brooktorkai entstand von 1899 bis 1927: Der rekordverdächtige Bau mit Kosten in Höhe von 40 Millionen Mark war eine technische und logistische Meisterleistung, die ihresgleichen suchte.
Am 29. Oktober 1888 wurde der Freihafen in der Speicherstadt eröffnet. Kaiser Wilhelm II. legte in einer feierlichen Zeremonie unter den Augen Zehntausender den Schlussstein an der Brooksbrücke und sprach die berühmt gewordenen Worte: „Zur Ehre Gottes, zum Besten des Reichs, zu Hamburgs Wohl!“
Wenn Sie mehr über die Architektur und die beeindruckenden Brücken der Speicherstadt erfahren möchten, besuchen Sie unsere Seite Architektur und Brücken der Hamburger Speicherstadt.
Die Schattenseite der Speicherstadt Hamburg: der Exodus
Die Schaffung einer zollfreien Hafenzone hatte eine Schattenseite, denn sie bedeutete das Ende vieler Existenzen: Mehr als 20.000 Menschen standen nun vor dem Aus. Seit Generationen hatten sie auf der Kehrwieder-Wandrahm-Insel gelebt und gearbeitet. Nun, da der Stadtteil am Hafen komplett umgestaltet werden sollte, mussten diese Menschen ihre Heimat verlassen. Mit einem Schlag waren viele nicht nur arbeits-, sondern auch obdachlos – eine absolute Katastrophe. Nur wenige erhielten eine Entschädigung. Erschwerend kam hinzu, dass sich niemand um ihr Schicksal kümmerte. Lagerhallen, Kontore und Wohnungen wichen den heute weltberühmten Lagerhäusern.
Speicherstadt Hamburg: eine Geschichte des steten Wandels
Mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) vom 9. Oktober 2013 wurde das Zollrecht in der EU vereinheitlicht und die Ära der Speicherstadt beendet. Nach mehr als einem Jahrhundert zollrechtlicher Sonderstellung wurde der Freihafen am Neujahrstag 2013 aufgelöst und die „Stadt in der Stadt“ wieder in Hamburg integriert.
Die Speicherstadt ist nicht nur ein weltbekannter Ort, sondern auch ein Denkmal menschlicher und technologischer Leistung, Ausdauer und des Glaubens an Erfolg und die eigene Kraft. Ihre Backsteine zeugen von den Schicksalen der Menschen, die gegen die Wogen der Zeit ankämpften, sich den Herausforderungen stellten und eine blühende Stadt schufen.Sie erzählt ein einzigartiges Kapitel Hamburger Geschichte, das von Aufbruch und Wagemut geprägt ist, erinnert uns aber auch daran, dass Erfolg und Fortschritt oft mit Veränderungen und Opfern einhergehen. Die Menschen, die diesen historischen Ort prägten, haben uns mit ihrem Erbe ein Vermächtnis hinterlassen, das es zu bewahren und zu würdigen gilt.